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Bad Boy Foremans Wahlverwandtschaft

Richard Foreman schreibt ein Stück über Nietzsche und begegnet sich selbst.

Von Daniel Mufson
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In Richard Foremans jüngstem Stück, Bad Boy Nietzsche, sagt der Titelheld einmal: „Seien wir doch mal ehrlich: Niemand lässt sich gern durch die Vorstellungen eines anderen festschreiben.“ Dabei steht er vor einem großen Rechteck aus weißem Schaum, und seine nächsten Worte sind ein Flehen: „Bitte! Wischen Sie mich weg.“

Bad Boy NietzscheDoch statt Nietzsche auszulöschen, zeigt Foreman ihn in einer Art Doppelbelichtung: Nietzsche, überblendet mit Foreman und umgekehrt. Am Ende der Vorstellung hat man den Eindruck, dass beide Füreinander bestimmt waren. Die meisten Stücke Foremans drehen sich um den Willen zur Macht und die daraus resultierenden Probleme. Immer wieder stand in ihrem Zentrum ein männlicher Meister—der Professor in My Head Was a Sledgehammer etwa oder der Maestro in Pearls for Pigs–, der von einer mediokren Umgebung bedrängt und missverstanden wurde. Frauen erschienen regelmäßig als unterlegen und feindselig, die Erotik war aggressiv und bedrohlich. Diese Grundstruktur eignet sich vorzüglich für Nietzsche, der zu seinen Lebzeiten unterschätzt und nach seinem Tod grotesk fehlinterpretiert wurde. Nietzsches Gegenspieler heißen in Foremans Version zwar nur „Das Kind“, „Der Grausame Mann“ oder „Die schöne Frau“, aber sie sind offensichtlich zusammengesetzt aus den realen Figuren, die Nietzsche das Leben schwer machten oder seinen Nachlass verfälschten: Lou Andreas Salomé, seine Schwester Elisabeth, Richard Wagner; und jede Menge Nationalisten und Antisemiten, die Nietzsche zu seinen Lebzeiten kritisiert hatte und die ihn nach seinem Tod für sich beanspruchten.

Es passt!

Foremans Inszenierungen, in denen Schauspieler ihre Texte in Mikrophone murmeln, vermittelten immer den klaustrophobische Eindruck eines Kampfes der Stimmen in seinem eigenen Kopf. Dementsprechend ist der Nietzsche, den wir hier erleben, der Nietzsche nach dem Fall, eingesperrt in seinen Kopf, begrenzt auf ein Zimmer. Der Ausgangspunkt des Stückes ist der Unfall von 1889, der oft als das Ende seines produktiven Lebens bezeichnet wurde: In den Straßen von Turin hatte der Philosoph beobachtet, wie ein Kutscher sein Pferd schlug und sich zwischen das Tier und seinen Peiniger geworfen, bevor er ohnmächtig zu Boden sank. Vielleicht plante Foreman schon seit Jahren ein Stück über den deutschen Philosophen, denn schon 1994 tauchte eins der ausgestopften Pferde aus Bad Boy Nietzsche als Requisit in My Head Was a Sledgehammer auf.

Die immer wiederkehrenden gleichen Bühnenbildelemente in Foremans Inszenierungen scheinen der Hoffnung auf ein vielschichtiges Palimpsest entsprungen, von dem zumindest einige Teile stets widerhallen, unabhängig von der Bedeutung der jeweiligen Texte. Erstaunlicherweise geht diese Hoffnung bei Bad Boy Nietzsche auf: Die aufgereihten Totenköpfe, das zerknüllte Papier, vollgekritzelt mit unleserlichen Zeichen, die mit Graffitis verschmierten Wände, die hebräischen Buchstaben und der Davidstern, das ausgestopfte Pferd, ja sogar die Plexiglaswand, die Schauspieler und Publikum trennt—all das, was jahrelang nur gewohnheitsmäßig oder beliebig oder beides gleichzeitig wirkte, erschient endlich passend. Es herrscht noch immer kein Mangel an verspieltem Unsinn, aber so grotesk das Porträt des Philosophen auch ausfällt, kommt man doch nicht umhin, über den realen Nietzsche nachzudenken, die vielen traurigen und bitteren Umstände seines Lebens und die Bedeutung seines Schreibens.

Einzelne Aspekte des Foremanschen Charakters, wie sie in vorangegangenen Produktionen sichtbar wurden, zeigen gleichfalls eine große Nähe zu seinem Helden. Auch Foreman selber scheint zwischen egozentrischer Arroganz und unsicherem Grübeln ob der eigenen Bedeutungslosigkeit zu oszillieren, wie Nietzsche, der etwa im Zarathustra mit seiner Unabhängigkeit prahlte und sich gleichzeitig in Briefen an Freunde über seine Einsamkeit beklagte. Die Verankerung in der Geschichte Nietzsches verleiht Foremans wohlbekannten Ritualen der Selbstanalyse neue Frische.

Der Besuch einer Foreman-Vorstellung ist in New York mittlerweile zu so etwas wie einem regelmäßigen Familientreffen geworden: Irgendwie scheint es wichtig, sich alljährlich einzufinden, aber es beschleicht einen ach das grässliche Gefühl des Immergleichen: das gleiche Essen, die gleichen Argumente, die gleichen Witze. Nietzsches Auftauchen in dieser Wohlbekannten Dramaturgie ähnelt einem überraschend mitgebrachten Gast: Die abgestandene Familiendynamik verändert sich unmerklich, die hermetische Selbstbezüglichkeit bricht auf durch die unabweisbare Erkenntnis, dass es auch noch andere Menschen auf der Welt gibt. Dieses Jahr ist Foreman nicht allein mit sich; er ist allein mit Nietzsche. Und die beiden so zu zweit in ihrer Qual isoliert zu sehen, hat einen Hauch von Ironie, der das Selbstmitleid der letzten Foreman-Produktionen abmildert.

Gary Wilmes, dem Publikum noch wohlbekannt aus Hotel Fuck und Richard Maxwells House, erweist als Nietzsche wieder seine fabelhafte Bühnenpräsenz. Kevin Hurley, kürzlich in Europa noch in Jet Lag der Builders Association zu sehen, wirkt als „Der grausame Mann“ angemessen sinister, wenn er über die Bühne stolziert, seine Muskeln spielen lässt und immer wieder (sehr zu Nietzsches Kummer) mit einem Golfschläger auf die Rückenlehne von Nietzsches Stuhl einprügelt.

Weniger eindrücklich sind die weiblichen Darstellerinnen, nicht zuletzt, weil Foreman sich ebenso wenig wie Nietzsche weibliche Intelligenz vorzustellen vermag. Dem Porträt einer sadistischen Sirene mangelt es and dem Einfallsreichtum, der nötig wäre, um diesen zeitlosen Archetyp einer Frau vor dem abgenutzten Klischee zu bewahren. So erfinderisch Foremans Welt auf den ersten Blick erscheint, so wenig ist er in der Lage, eine andere als seine eigene zu erfinden. So führt die Verschiebung des Fokus von sich auf Nietzsche Foreman am Ende nur zu der Erkenntnis, dass Nietzsche genau wie er ist.

Erst erschienen im Theater Heute, Mai 2000, S. 74/75.
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